Das Christuslied

6 Von göttlicher Gestalt war er. Aber er hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein – so wie ein Dieb an seiner Beute.
7 Sondern er legte die göttliche Gestalt ab und nahm die eines Knechtes an. Er wurde in allem den Menschen gleich. In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.
8 Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis in den Tod –
ja, bis in den Tod am Kreuz.
9 Deshalb hat Gott ihn hoch erhöht:  Er hat ihm den Namen verliehen,
der allen Namen überlegen ist.
10 Denn vor dem Namen von Jesus soll sich jedes Knie beugen –
im Himmel, auf der Erde und unter der Erde.
11 Und jede Zunge soll bekennen: „Jesus Christus ist der Herr!“
Das geschieht, um die Herrlichkeit Gottes, des Vaters, noch größer zu machen.

BasisBibel

Liebe Gemeinde!

In seinem Brief an die Gemeinde in Philippi zitiert Paulus eines der ältesten Lieder der Christenheit. Im Stil eines Psalms rühmt und preist es Jesus Christus. In äußerst dichter Form besingt es seinen Weg und seine Geschichte.

Die einzelnen Aussagen sind dabei so dicht und knapp, dass man innehalten möchte, um zu bedenken, was denn da eigentlich gesagt wird.

Da heißt es von Jesus Christus, dass ER von Anfang an mit Gott eins und wesensgleich war. Diese Aussage freilich ist in Theologie und Christentum nie ganz unbestritten gewesen. Vielen gilt und galt Jesus nicht als göttlich, sondern als ein eigentlich ganz gewöhnlicher Mensch.

Für sie zeichnet sich Jesus lediglich durch seine besondere Lebensführung aus, durch eine besondere Einstellung zum Leben und durch eine besondere Verkündigung.

Ferner krönt ihn sein außergewöhnlich inniges Verhältnis zu Gott, das in der Menschheitsgeschichte einmalig ist. Deshalb, so sagen manche, solle man nicht an Jesus glauben, sondern wie Jesus glauben.

Unser Text hingegen bestimmt das Verhältnis von Gott und Jesus anders. Der Hymnus in Philipper 2 singt davon, dass uns in diesem Jesus aus Nazaret der lebendige Gott selbst begegnet.

Gott selbst also begibt sich auf den Weg nach unten, auf den Weg der Niedrigkeit. Jesus Christus klammert sich nicht an seinem Gottsein fest, ER treibt keine krampfhafte Besitzstandwahrung.

Bewusst und freiwillig kann er sein Gottsein loslassen und preisgeben. Christus verzichtet darauf, ganz oben zu sein. Für uns geht ER freiwillig ganz nach unten.

Jesus durchlebt nicht die Höhen des menschlichen Daseins, nicht die angenehmen Seiten des Lebens, sondern ER begibt sich wirklich in die Tiefe und in die Niedrigkeit.

Geboren im Stall, geendet am Galgen. Das sind die Eckdaten seines Lebens. Die Zeit dazwischen war entsprechend.

Von Johannes dem Täufer empfing ER die Taufe zur Vergebung der Sünden – eine Tatsache, die vielen Christen von jeher Kopfzerbrechen bereitete. Aber Jesus wollte offenbar wirklich nicht besser dastehen als die Menschen, für die ER seine Leben geben würde.

ER will nicht ferne von uns sein, sondern bei uns. Jesus will nicht über den Sündern stehen, sondern in einer Reihe mit ihnen.

Deshalb stellt ER sich ganz nahe zu den Sündern, um in der Taufe des Johannes wahrhaft eins mit ihnen zu werden.

Mittellos zog ER dann mit ein paar Freunden und Freundinnen und einer wachsenden Anhängerschar durch das Land. Einen festen Wohnsitz hatte ER nicht. Am Morgen wusste ER nicht, wo ER abends sich zum Schlafen legen könnte.

Seine eigene Familie nahm IHN nicht ernst. Sie hielten IHN für schlicht verrückt. Seine eigenen Brüder lehnten ihn ab. Einer von ihnen – Jakobus – war sogar bei der Partei der Todfeinde Jesu, bei den Pharisäern.

Sein liebevoller Umgang mit denen, die man zu den Sündern und den vor Gott Gescheiterten zählte, und seine Predigt von der Güte des himmlischen Vaters brachte IHM Hass und unbarmherzige Feindschaft ein bei denen, die mit seiner Botschaft nicht einverstanden waren.

Flucht und Vertreibung bekam ER am eigenen Leib zu spüren. Und in den bittersten Stunden seines Lebens war ER einsam und verlassen. Als ER in Gethsemane vor Angst bald verging, stand IHM kein Mensch zur Seite.

Als seine Gegner IHN dann gefasst hatten, schlugen sie IHM ins Gesicht und bespuckten IHN.

Aus dem >>Hosianna<<, das IHN bei seinem Einzug in Jerusalem empfing, wurde sehr bald ein >>Kreuzige ihn<<. Die Palmwedel der Begeisterung über den Friedenskönig wandelten sich in grausame Peitschen.

Am Ende seines Weges standen Verspottung und Folter und schließlich eine ausgesucht grausame Hinrichtung durch die römische Obrigkeit. Jesus war in der Tat gehorsam bis zum Verbrechertod am Kreuz.

Jesu so genannter Gehorsam umschließt dabei nicht nur die Zeit zwischen dem letzten Abendmahl und der Kreuzigung, sondern den ganzen Erdenweg Jesu.

Das Wort Gehorsam beschreibt hier nicht das Verhältnis zwischen einem Befehlsgeber und einem Befehlsempfänger. Gemeint ist hier Jesu bewusster Verzicht auf alle Vorrechte, die sich durch seine Einheit und Wesensgleichheit mit dem himmlischen Vater ergeben.

Wenn Jesus gehorsam ist, so heißt dies: ER verzichtet auf alle göttlichen Besitzstandsrechte, denn Jesus ist ganz und gar bestimmt von seinem Willen zur Selbsthingabe für uns.

Jesus verzichtet auf alle Macht und Herrlichkeit. ER will nicht von oben herab herrschen, sondern ER will ganz tief unten dienen. ER will uns dienen.

Wenn aber der Weg Jesu tatsächlich letztlich der Weg Gottes ganz nach unten zu uns Menschen ist, so wirft dies ein bezeichnendes Licht auf Gottes Handeln am Menschen und an dieser Welt.

In Jesus Christus verzichtet Gott auf seine Allmacht. Der Weg Jesu ist der Weg des Machtverzichts Gottes gegenüber uns Menschen. Gott will sich in seiner Welt nicht mit spektakulärer Allmacht für alle sichtbar durchsetzen.

Gottes Weg mit den Menschen in Jesus Christus ist der Weg der Ohnmacht und der Niedrigkeit. So begegnet Gott uns Menschen auf menschliche Weise. ER wird uns völlig solidarisch bis in Leid und Elend, bis in Tod und Verzweiflung hinein.

Gott nimmt sich des Elends des Menschen an, indem ER sich selbst ins Elend begibt. Gott nimmt uns Menschen an, indem ER menschliches Wesen annimmt.

So dürfen wir durch Jesus Christus wissen, dass Gott uns annimmt mit all unseren Fehlern und Schwächen. Indem Gott in Jesus Christus Mensch wurde, hat ER die Trennung zwischen Gott und uns Menschen überwunden.

Gerade weil Gott uns in Jesus als Mensch so nahe kam, steht nun nichts mehr zwischen uns und Gott. Im Weg Jesu Christi offenbart sich Gottes Liebe zu uns, diese grenzenlose Liebe, in die jede und jeder von uns hier und heute eingeschlossen ist. Es ist eine Liebe, die kein Opfer scheut.

Fragen wir, warum Gott so in Jesus Christus gehandelt hat, so gibt es nur eine Antwort: Weil wir es IHM wert sind. Wir sind unserem Gott nicht egal. Jeden und jede von uns will ER bei sich in Seiner Gemeinschaft haben.

Deshalb ist IHM kein Opfer zu groß und kein Weg zu weit, auch nicht der Weg ganz nach unten, auch nicht der Weg an das schreckliche Kreuz.

Aber der Gekreuzigte ist nicht im Tod geblieben, sondern ER ist vom Tod auferstanden und Gott, der Vater, hat IHN erhöht und IHM Rang und Namen verliehen, der IHN hoch über alle stellt. Vor Jesus müssen alle auf die Knie fallen – alle Menschen und Mächte im Himmel, auf der Erde und unter der Erde.

Alle müssen feierlich bekennen, dass Jesus der HERR ist, um so auch den himmlischen Vater zu ehren.

Durch sein selbstloses Dienen an der Welt und ihren Menschen ist Jesus zum Herrn der Welt geworden. ER hat alle Mächte besiegt und unterworfen.

Dabei ist auch an dämonische Mächte zu denken, die Menschen beherrschen und von Gott trennen wollen.

Aber auch an Sünde und Tod ist dabei zu denken. Jesus hat die vernichtende Macht der Sünde durchbrochen und uns aus ihren Klauen befreit.

Und Jesus hat den Tod besiegt und ihm seine endgültige Macht über uns genommen.

Auch wenn wir weiterhin biologisch sterben müssen, so können doch Sünde und Tod uns nicht mehr trennen von Gott, weil wir im Glauben zu Christus gehören und niemand uns IHM entreißen kann.

Auch wenn wir weiterhin schuldig werden, so kann uns doch die Sünde nicht mehr von Gott entzweien, weil uns in Christus Vergebung und Versöhnung geschenkt wird.

Jesus Christus hat uns befreit zu einem Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Wir unterstehen damit einer guten und gütigen Herrschaft und sind geborgen bei einem liebenden HERRn.

Unser Lied in Philipper 2 besingt diesen Sieg, diesen Herrschaftswechsel, in sehr triumphaler Art, etwas zu triumphierend vielleicht gemessen an unseren Erfahrungen.

Die gläubigen Christen bekennen ihren HERRn sehr wohl, aber die gesamte Menschheit wohl kaum.

Unser Text spricht hier auf die Zukunft an, der wir und diese Welt entgegengehen.

Am Ende der Zeiten wird sich diese christliche Wahrheit als die bleibende Wahrheit erweisen. Christus ist nicht nur der HERR der Gemeinde, sondern der HERR der ganzen Welt und aller Menschen.

Am Ende der Zeit soll Christus, der durch Niedrigkeit und Leid gegangen ist, herrschen in Herrlichkeit und in Ewigkeit. Und alle Welt wird es sehen und einsehen.

Bis dahin, aber, liebe Gemeinde, bleibt seine Herrschaft verborgen, verborgen unter der Niedrigkeit des Kreuzes.

Der Erhöhte bleibt immer auch der Erniedrigte. Der Auferstandene behält die Wundmale des Kreuzes. ER geht den Weg der Niedrigkeit weiter in dieser Welt. ER bleibt der Gekreuzigte auch als der erhöhte HERR.

ER hat seine Herrschaft wohl schon angetreten, aber noch herrscht ER in stiller Verborgenheit und dienender Niedrigkeit.

Wenn wir also fragen, liebe Gemeinde, wo Gott in dieser Welt zu finden sei, so kann die Antwort eigentlich nur lauten: unten, ganz unten.

ER ist ganz unten, wo wir auch oft sind mit unseren Ängsten und Sorgen, mit unserem Kummer und unserer Not, mit unserem Leid und unserem Elend, durch das wir im Leben bisweilen hindurch müssen. 

Ein Leben ohne Leid, ein Leben ohne Kreuz ist uns nicht verheißen. Aber wenn uns das Leben den Weg nach unten führt, dann gehen wir diesen Weg nicht alleine. Christus geht immer mit. Der, in dem Gott einer von uns wurde, lässt uns niemals im Stich.

Jesus teilt mit uns auch unser je persönliches Geschick, wie immer es momentan auch gerade um uns stehen möge.

Und uns ist verheißen, dass wir eines Tages seine Herrlichkeit mit IHM teilen dürfen, weil ER gekommen ist, mit uns unsere Not zu teilen.

Selig ist der Mensch, der IHM Jesus Christus unter allen Umständen vertraut. ER wird gewisslich schauen, wen und was er geglaubt hat.

Amen.